Verfasst von Nicole Erkan
Während meines Studiums der Soziologie haben mich insbesondere Emile Durkheim und seine Selbstmordstudie beeindruckt. Durkheim ging davon aus, dass in Zeiten des sozialen Wandels das Bewusstsein für die Gemeinschaft und somit wichtige Werte und Normen verloren gehen. Anders als in der Psychologie wollte Durkheim eine signifikant höhere Selbstmordrate in Frankreich im 19. Jahrhundert als soziales Phänomen untersuchen und konnte die erhöhte Selbstmordrate schließlich als soziale Ursache – explizit als Ausdruck von Integrations- und Regulationskrisen erklären. Dies hat mich sehr beeindruckt. Einerseits litt ich nach dem frühen Tod meiner Mutter mit Anfang zwanzig selbst unter Depressionen und andererseits bemerkte ich, dass diese wertvolle Erfahrung, die ich machen durfte, anderen Menschen in meinem Umfeld half mit ihren persönlichen Herausforderungen zurecht zu kommen und zuversichtlich zu bleiben, dass man Depressionen auch hinter sich lassen kann. Denn während einer Depression haben viele Menschen die Sorge, dass diese nie enden wird. Also begann ich mich mit den sozialen Ursachen von Depressionen und Angstzuständen zu beschäftigen.
Irgendwann wurde mir Jahre später das Buch „Der Welt nicht mehr verbunden. Die wahren Ursachen von Depressionen- und unerwartete Lösungen“ von Johann Hari geschenkt und ich erinnerte mich an diese großartige Zeit im Studium, die zu vielen Selbsterkenntnissen geführt hat. Insbesondere erinnerte ich mich an Durkheim und seine Studie. Schließlich war ich überzeugt davon, dass der Zustand von Depressionen und Angstzustände sowie der teilweise daraus resultierende Freitod durch die Anpassung bestimmter sozialer Ursachen verbessert werden könnte. Mit dieser These konnte ich mich in dem besagten Buch wiederfinden. Hari beschreibt neun Ursachen von Depressionen (mache Menschen nennen es tiefe Traurigkeit. Das ist weniger stigmatisierend für sie. Dies sollte jeder Mensch für sich entscheiden.) – sieben davon als soziale Ursachen aufgrund der Tatsache, dass man sich mit einem Teilbereich seines Lebens nicht mehr verbunden fühlt. Diese wären:
- Abgeschnitten von sinnvoller Arbeit
- Abgeschnitten von den Mitmenschen
- Abgeschnitten von sinnvollen Werten
- Abgeschnitten vom Kindheitstrauma
- Abgeschnitten von gesellschaftlicher Stellung und Ansehen
- Abgeschnitten von der Natur
- Abgeschnitten von einer hoffnungsvollen und sicheren Zukunft
Verbundenheit ist meiner Meinung nach einer der wichtigsten Themen für alle Menschen: tiefe Verbundenheit mit sich selbst und der (Wahl)- Familie sowie unserer Gesellschaft. Es sind genau diese tiefen Verbindungen, die uns glücklich sein lassen und nach dem eigentlich alle Menschen streben. Gleichwohl fällt es Menschen schwer in Verbindung zu gehen, denn dem gegenüber steht das Bedürfnis nach (emotionaler) Sicherheit. Man möchte sich selbst schützen vor Verletzungen. Es fehlt oftmals an Mut und auch dem richtigen „Werkzeug“, um das Anliegen auszudrücken, womit man eigentlich gehört werden möchte. Oftmals sind die Bedürfnisse, die hinter urteilenden Worten und/oder sich verschließenden Handlungen stehen nicht immer für den Gegenüber sichtbar. Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft und natürlich auch für mich in echter Verbindung zu bleiben und/oder Mut zu haben in Verbindung zu gehen.
„Die Schönheit in einem Menschen zu sehen ist dann am nötigsten, wenn er auf eine Weise kommuniziert, die es am schwierigsten macht, sie zu sehen.“
(Marshall Rosenberg)