Es war Sonntag, und ich hatte endlich mal frei.
In der Klinik war einiges zu tun, doch das Team war sehr gut aufgestellt. Es klingelte das Telefon. „Hou, wir fragen Dich ungern, aber das Frühgeborene ist kritisch. Würdest Du mit der Mutter auf Arabisch sprechen? Wir müssen mit ihr über die Situation reden.“
Ich fuhr in die Klinik und kurze Zeit später traf die Mutter ein. Sie sah fahl aus, müde, hoffnungslos. Sie war allein, ohne den Vater des Kindes, in einem fremden Land, dessen Sprache sie nicht sprach. Sie brachte ihr erstes Kind so früh zur Welt, dass es gerade lebensfähig war und noch lange nicht alleine – ohne Hilfe – leben konnte. Sie gab es nach der Geburt hoffnungsvoll in unsere Hände und zog sich zurück. Wir verstanden es zunächst nicht. Erst im Nachhinein erklärte sie ihre Beweggründe- Respekt und Demut uns gegenüber! Sie hatte Sorge uns bei der Arbeit zu stören. Und doch fehlte sie soooo sehr bei unserer Arbeit.
Dem Kind ging es nicht gut und wir machten uns Sorgen. Ich begann die mit Bedacht gewählten Worte meines Chefarztes zu übersetzen. Ehrfurcht vor der Situation machte sich in der Mutter und mir breit. Wir taten bereits alles medizinisch mögliche – nun brauchten wir die Hilfe der Mutter. „Halten Sie sein Händchen. Sprechen Sie zu ihm. Sie sind die Mutter – Sie dürfen das und er braucht jetzt nichts mehr als das“.
Sie setzte sich neben den Inkubator, desinfizierte sich die Hände und die Krankenschwester half ihr dieses zarte Wesen zu halten.
Und sie hielt – stundenlang… bis in den Abend hinein.
Als ich am nächsten Tag kam, war meine größte Angst den Inkubator leer vorzufinden. Die Schwestern und die Oberärztin strahlten und jubelten. „Es geht ihm viel besser“.
Heute ist er ein Kindergartenkind und das größte Glück seiner Mutter.
Jeder Mensch braucht Nähe… Und Frühgeborene besonders- sie sind eben besondere Menschen. Man macht sich dieses Wissen zu nutzen und lässt sie „Känguruhen“. Man legt sie auf die nackte Brust der Eltern und lässt sie Kuscheln. Sie hören Herzschlag und Stimme und spüren Wärme.
Und irgendwas passiert dann, was alles plötzlich besser werden lässt