Viele Eltern haben sich mit der Gründung der Familie einen Herzenswunsch erfüllt. Hierbei wussten fast genauso viele werdende Eltern, was sie genauso wie ihre eigenen Eltern machen würden und was nicht! Ich kann mich ganz genau daran erinnern, dass ich, wie durch eine rosarote Brille schauend, mir sagte: „Es ist alles Erziehungssache!“!
Mein erstes Kind war ein Einsteigerkind für Anfängereltern. Zu mindestens in den ersten drei Jahren. Er wurde quasi mit der Verinnerlichung der Bedeutung des Begriffs „Gehorsamkeit“ geboren. Ich hab mich so richtig in meiner Meinung bestätigt gefühlt. Ali, mein Erstgeborener hat so richtig Lust auf mehr gemacht….jedoch hat sein Bruder diesen Wunsch im Keim erstickt. Er ist ein ganz anderes Kaliber: er ist ein sogenanntes „lebendiges Kind“. Wäre der Begriff der „Selbstbestimmung“ bis dahin unentdeckt geblieben, so hätte er ihn definiert. Hinzu kommt, dass Hamza seinen Bruder Ali quasi von seinem Thron gestoßen hat…sozusagen ein Putsch. Das war der Moment, wo Ali den Gehorsam gegenüber seinen Eltern verlor. Das Einsteigerkind, dem ein bestimmendes „Nein!“ stets ausreichte, ist älter geworden und somit auch kreativer. Er versuchte nun stets mit Regelverstößen seine Grenzen auszutesten. Als wir am letzten Opferfest Freunde zum Grillen eingeladen hatten und er mit etwas nicht einverstanden war, sagte Ali mir mit lauter und bestimmender Stimme, dass ich schlicht und weg eine SCH…MUTTER sei. Ich sah, wie mich so einige Gäste und Nachbarn anschauten und auf meine Reaktion warteten. Ehrlich gesagt, war es mir sehr unangenehm. Natürlich habe ich mit meinem Kind gesprochen und es tat ihm auch leid. Jedoch änderte dies nichts daran, dass er immer mehr rebelliert, sich meinen Wünschen widersetzt und wenn es sein muss mir auch dazu noch sagt, was er von mir hält und zwar so als ob sein Freund vor ihm stehe.
Da man sich als Eltern auch viel mit anderen Eltern unterhält, ist häufig Thema, dass man selbst als Kind sich nie getraut hätte seine Eltern anzuschreien oder zu beleidigen, so wie man dies in der heutigen Zeit häufig beobachtet. Ich habe mich gefragt, ob das tatsächlich so ist und wenn ja warum? Schließlich gehört es doch zu einem normalen und gesunden Entwicklungsprozess seine Grenzen auszuloten.
Was motiviert mich dazu gegenüber meinen Eltern zu rebellieren? Wann höre ich auf damit? Wenn es mir schlecht geht und mich meine Gefühle übermannen, dann kann ich die Menschen, die mich so erleben großzügig gesprochen an einer Hand abzählen. Im Regelfall ist es mein Mann. Er kennt meine echten Gefühle. Wenn wir alleine sind, darf ich meinen Gefühlen freien Lauf lassen, denn er weiß, wer ich wirklich bin und was mich bewegt. Ich muss nicht perfekt sein und darf mich einfach mal fehlverhalten und weiß, er liebt mich immer noch. An Tagen, an denen seine Antennen voll ausgefahren sind und ich ihn immer wieder anranze, fragt er mich sogar, was mir gerade so wehgetan hat, anstelle mich wegen meiner „schlechten Laune“ zu ignorieren. Wie gut, dass es ihn gibt, denn wenn der Alltag wieder los geht und ich auf der Arbeit, bei den Ämtern, der Schule, dem Kindergarten und im Freundeskreis als auch der Familie funktionieren muss, kann ich mir das nicht erlauben. Denn ich weiß ja was sich gehört…..und vor allem weiß ich wem ich mich mit all den negativen Gefühlen anvertrauen darf.
Mit dieser Erkenntnis möchte ich auf meinen Sohn schauen. Wem vertraut er sich an, wenn es ihm schlecht geht oder wenn er einfach mal die Welt nicht versteht? Wem soll er sich anvertrauen? Was ist mir lieb? Wenn nicht seinen Eltern wen dann? Seinen Lehrern? Oh nein, dann rebelliert er ja in der Schule! Seinen Freunden? Die werden das in diesen jungen Jahren noch nicht verstehen und sich von ihm abwenden? Im Verein? Das gleiche Problem wie in der Schule und im Freundeskreis. Da bleiben ja nur wir als Eltern übrig. Es zeigt aber auch, dass er niemandem auf solch eine intensive Art und Weise vertraut, wie uns. Seinen Ungehorsam aus diesem Blickwinkel zu betrachten, gibt seinem Verhalten eine ganz andere Nuance. Mein Sohn rebelliert im Elternhaus und erhebt auch einfach mal seinen Eltern gegenüber die Stimme, weil er sonst niemandem so vertraut, wie uns. Niemand in der Schule, im Verein oder von seinen Freunden geben ihm das Gefühl „mal aus den Fugen geraten“ zu dürfen und doch seiner Person wegen geliebt zu werden. Ist das nicht ein Geschenk? Schauen wir mal auf unsere eigene Kindheit .Hatten wir wirklich im Grundschulalter oder unserer frühen Pubertät tatsächlich die Weitsicht unsere Eltern für ihre gesellschaftlichen und persönlichen Leistungen zu respektieren und zu schätzen oder hatten wir einfach manchmal schlicht und weg Angst vor den Konsequenzen oder sogar vor unseren Eltern? Soll eine Eltern- Kind- Beziehung tatsächlich auf Liebe, Fürsorge und Angst aufbauen oder auf Liebe, Fürsorge und Vertrauen? Ich bin fast 40 Jahre und habe wirklich erst durch mein Mutterdasein erkannt, wieviel Arbeit meine Eltern mit der Kindererziehung hatten. Sie haben tatsächlich nicht alles richtig gemacht und einiges davon möchte ich nicht wiederholen, weil ich mich so unverstanden gefühlt habe, jedoch kann ich ihnen Verständnis dafür entgegenbringen, dass sie manchmal genauso hilflos waren, wie ich heute und sie hatten wirklich niemanden in ihrer Umgebung der ihnen plausibel erklären konnte, dass Rebellion ein Zeugnis des Vertrauen und der Liebe ist. Ich denke auch nicht, dass Gehorsamkeit das ist, was wir Eltern uns von unseren Kindern wünschen, sondern Respekt und Achtung und das kommt mit dem Alter, wenn wir als Eltern weise geworden sind und die Kinder sich mitentwickelt haben. Das Zu Hause ist ihr geschützter Raum, wo sie sich insbesondere innerhalb ihrer Gefühlswelt austoben sollen, denn wenn sie in die Schule gehen, müssen sie ja wieder funktionieren.