Islam und Feminismus – eine Wortkombination, die für viele Feministinnen wohl eher etwas sich gegenseitig Ausschließendes ausdrückt, als dass es miteinander in Verbindung stehen könnte. Es gleicht fast schon einem Antonym und erinnert an Gegensätze wie Enge und Weite, Gefangenschaft und Freiheit, Stagnation und Fortschritt. Während der Islam als eine Religion wahrgenommen wird, welche mit Rückständigkeit, Gewaltbereitschaft und Frauenfeindlichkeit assoziiert wird, steht der Feminismus für Befreiung, Emanzipation und Gleichberechtigung. Der Islam scheint für viele feministische Frauen weit entfernt von der gängigen Vorstellung von Feminismus zu sein. Dabei sollten wir uns die Frage stellen, ob es nicht unsere eigenen Grenzen sind, die es nicht zulassen, dass der Islam auch feministisch gedacht werden kann.

Die muslimische Frau

Diese Assoziationen mit den Begriffen Islam und auch Feminismus sind das Ergebnis unserer Historie. Spätestens seit der Arbeitsmigration leben vermehrt muslimische Frauen in Deutschland. Sie waren Nachzüglerinnen der Gastarbeiter, Migrantinnen, Putzfrauen, rückständige Dorffrauen, Integrationsverweigerinnen oder Kopftuchfrauen. Als einfache deutsche Frauen wurden sie nie wahrgenommen, geschweige denn als selbstbewusste, emanzipierte Frauen. Wird in den Medien über den Islam gesprochen, gibt es ein zentrales Thema: die muslimische Frau. Dabei wird über die muslimische Frau gesprochen, als gäbe es einen Prototyp, welcher für die Gesamtheit aller muslimischen Frauen steht. Die Vielfalt der muslimischen Frauen bleibt hierbei völlig unberücksichtigt. All die Fremdzuschreibungen lassen kaum noch Raum für die Sichtbarkeit der Selbstzuschreibungen. Alleine die Tatsache, dass von der muslimischen Frau im Singular gesprochen wird, lässt die Sichtweise auf muslimische Frauen transparent werden. Kein Frauenbild ist je so intensiv und langatmig diskutiert worden, wie das des Islam. Insbesondere Feministinnen haben immer wieder die generelle Unterdrückung muslimischer Frauen zum Thema gemacht. Das Kopftuch wurde zum Symbol der Unterdrückung und lies keine andere Sichtweise mehr zu. Sind wir mal ehrlich, wer von Ihnen würde schon eine kopftuchtragende Frau mit Freiheit, Emanzipation oder
Selbstbestimmung assoziieren?

Der Feminismus – eine Bewegung für Alle?

Schauen wir auf den Begriff Feminismus. Per Definition ist er das Eintreten für die gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter. Eine radikale Gleichheit, die für viele Feministinnen nicht mit Religiosität zu vereinbaren ist. Schließlich wurden und werden weiterhin patriarchale Strukturen gerne mit einem religiösen Wertesystem begründet und legitimiert – ganz egal ob man(n) von biblischen oder koranischen Werten spricht. Daher ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Feminismus, der sich in Deutschland etabliert hat ein westlicher, säkularer Feminismus ist, aber nicht zwingend alle Feministinnen miteinschließt.

Feminismen – Einheit in Vielfalt!

Die Globalisierung hat auch vor den Feministinnen nicht halt gemacht. Daher gibt es auch keinen einheitlichen Feminismus- Begriff. Frauen stammen aus vielfältigen Kulturen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie teilweise mehr prägen als ihr Geschlecht. Dies hat zur Folge, dass sich die unterschiedlichsten Formen des Feminismus entwickelt haben: antirassistischer Feminismus, islamischer Feminismus, christlich-feministische Theologie, Ökofeminismus und Gleichheitsfeminismus sind nur einige Beispiele, die ich hier nennen möchte. Somit ist es passender von Feminismen zu sprechen, denn jede Kultur bringt ihre eigenen Feministinnen hervor, die ihre Definition von ihrem Feminismus selbstbestimmt gestalten möchten.

Zwischen Traditionen und Normen

Die Grenzen scheinen zu eng gesetzt zu sein, als das der säkulare Feminismus Platz für eine Religion wie den Islam hat. Eine Religion, die als Lebensweise verstanden wird und nicht vom Alltag zu trennen ist. Der islamische Feminismus ist eine Bewegung, die seit den 90er Jahren erkennbar ist. Das zentrale Problem, welches damit angegangen wird, ist die Hin- und Hergerissenheit der muslimischen Frauen zwischen den Praktiken und den Normen, die oftmals im Widerspruch zueinanderstehen. Die Bewegung hilft den Frauen zwischen patriarchalem Brauchtum und Religion zu unterscheiden. Gleichwohl bietet es einen islamischen Referenzrahmen, der für viele Frauen unabdingbar und gleichzeitig unterschiedlich weit ist. Schließlich ist es ein intrinsisches Bedürfnis der Frauen in einem emotionalen Gleichgewicht zu leben. Sie möchten sich emanzipieren und zeitgleich
gibt ihnen die Spiritualität Kraft in diesem inneren Prozess. Es ist deutlich spürbar für sie, dass weder der idealisierte säkuläre Befreiungsfeminismus noch die vermeintlich islamischen Traditionen ihnen die Selbstbestimmung geben, die sie brauchen, um sich wirklich frei zu fühlen.

Spiritualität – die Quelle der Emanzipation

Muslimische Frauen sind genauso vielfältig wie alle anderen Frauen: manche Frauen tragen ein Kopftuch, andere lehnen es ab, wiederrum andere halten es für optional oder obsolet. Einige Frauen lieben und leben das Moscheeleben, andere wiederum fühlen sich aus den Moscheen verdrängt und weitere Frauen haben schlicht und weg keine Beziehung zur Moschee, weil es in ihrer Umgebung keine Moschee mit Angeboten in der Muttersprache gibt. Nicht wenige muslimische Frauen empfinden ihr soziales Engagement im religiösen Kontext als Self-Empowerment. Es befähigt sie ihre Sprachenvielfalt, die Beheimatung in mehreren Kulturen und ihre Religion als Ressource wahrzunehmen, erste Berufserfahrungen im Ehrenamt zu sammeln und sich somit selbstbewusst
dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stellen. Unabhängig von der Intensität ihrer Religiosität, liegt die spirituelle Heimat für sie im Islam.

Islamischer Feminismus versus weibliche Reformation

Unter diesen Prämissen ist es für viele muslimische Frauen schwierig sich mit einem Verständnis von Feminismus zu identifizieren, welcher die Distanzierung vom Religiösen einfordert und den Anspruch erhebt der einzige Weg zur Befreiung und Emanzipation zu sein. Daher schlägt die französische Soziologin Zahra Ali den Begriff des Weiblichen Reformismus vor. Dieser sei mit dem Islam besser zu vereinbaren. Nun wissen wir, dass in der deutschen Sprache die sogenannten Ismen negativ konnotiert sind. Daher schlage ich den Begriff der weiblichen Reformation vor.

Reformation der eigenen Grenzen

Aber was bringt uns diese ständige Abgrenzung zu den verschiedenen Phänomenen. Wie weit wären wir Frauen, wenn wir einen einheitlichen Begriff leben würden, wie den intersektionalen Feminismus, der ausreichend Raum für Vielfalt gibt und dennoch die Einheit fokussiert. Wie wohlig fühlt es sich an miteinander verbunden zu sein: für eine gemeinsame Sache zusammen einzustehen – auch wenn wir nicht in Detail gleicher Meinung sind. Können wir es nicht trotzdem in der Grundannahme sein? Erst wenn wir verstehen, dass Selbstbestimmung keine Einbahnstraße ist und die Vorstellung von einem
selbstbestimmten Leben sehr vielfältig gestaltet werden kann, reformieren wir unsere eigenen Grenzen. Schließlich war es doch Martin Luther, der uns jedes Jahr zur selben Zeit an unsere Freiheit erinnert: „Das Wort Gottes ist frei, es will nicht Fesseln dulden durch Vorschriften der Menschen“.


Nicole Erkan ist Soziologin und Islamologin. Aktuell arbeitet sie als Integrationsfachkraft bei AmuRa – Servicestelle zur Sensibilisierung für Antimuslimischen Rassismus und zur Stärkung intersektionaler Feminismen. Die Servicestelle ist in Trägerschaft des muslimischen Familienbildungszentrums – MINA e.V. Der Verein ist eine von Frauen selbstbestimmte soziale Einrichtung.